Additionsphilosophie

Textprobe: Das Prinzip Verbindung

I. Entstehung der Additionsphilosophie

Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen. Im Jahr 1983. Im Deutschunterricht bei unserem Lehrer Detlef Bolduan wurde über die Stilepochen gesprochen. Die einzelnen Stilepochen waren auf Matrizen notiert, die nach Chemie dufteten, Fotokopierer gab es noch nicht. Wir erfuhren, was unter der „klassischen“, der „romantischen“, der „naturalistischen“, der „impressionistischen“ (etc.) Epoche zu verstehen sei. Wie ich mir in einem stillen Moment die Notizen ansah, fiel mir auf, dass wir heute immer noch und wieder auf alle diese Elemente der Epochen zurückgreifen können. Wenn auch nicht auf Stilepochen im Ganzen, so doch in Teilen. Sie müssten bloss addiert werden - die Additionsphilosophie war geboren!
Natürlich hieß sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht Additionsphilosophie. Ich war damals 17 Jahre alt und wusste genau, dass ich hier auf einen grossen mentalen Schatz gestossen war, aus dem was zu machen war. Ich begann nach Formen zu suchen, die das von mir gefundene unterstrichen und ausdrückten. Bis zur ersten halbwegs brauchbaren Umsetzung meines additionstheoretischen Gedankens sollte ungefähr ein Jahr vergehen. Bei einer Wanderung bot sich endlich die Gelegenheit für die erste Ausführung. Es entstand das leidige Gedicht „Der Maschsee“. Ein Poem über den künstlich angelegten See inmitten meiner Heimatstadt Hannover. In jeder Strophe wurde der Maschsee aus Sicht einer anderen Epoche beleuchtet, um darzustellen und zu zeigen, dass wir heute immer noch ähnlich denken, wie wir es in der Vergangenheit taten. Bald darauf entstand ein gar nicht mal fürs Theater gedachter Einakter mit dem Titel „Hermaphroditus“. Eigentlich hieß das Stück „Alles und Nichts“; doch im wesentlichen ging es um den Protagonisten Hermaphroditus, der durch diese Welt geht und verschiedene gedankliche und emotionale Wechselbäder durchlebt. Das Werk war ziemlich infantil geschrieben, aber es hat mir viel Freude bereitet. Schließlich war ich auf der Ebene angelangt, in der sich der additive Gedanke ausbreiten konnte: in der Philosophie. Geplant war ein literarisches Werk, in das die Gedanken der neuen Philosophie eingewoben werden sollten. Dazu kam es nicht. Die Philosophie gewann die Oberhand und verdrängte jegliche Literatur. Es entstand das „Ressentiment“. Ein philosophisches Werk von über 300 Seiten. Eingeteilt in 7 Kapitel umreisst es die Grösse der Additionsphilosophie. Nach 6 vorbereitenden Kapiteln wird im siebten Kapitel die Additionsphilosophie dargestellt. Die Fertigstellung des „Ressentiment“ habe ich auf den 1. Mai 1989 datiert. Ungefähr ein halbes Jahr war ich mit der Umwandlung des Manuskriptes zu einem Typoskript beschäftigt. Noch vor meinem 23. Geburtstag entstanden die in Aphorismen abgefaßten Texte.
Die vorliegende Schrift trägt den Titel „Extrakt“. Aus mehreren Gründen. Zum einen versteht es sich als Extrakt aus dem „Ressentiment“, welches erschrecklich wenig Rücksicht auf die Leser nimmt und mitunter sehr rüde geschrieben wurde; eben ressentimentiv. Zum anderen kennzeichnet der Begriffs des Extrakts einen Bestandteil der Addititionsphilosophie. Genau wie die Chemiker ein Extrakt gewinnen, indem sie etwas sondieren und zu etwas neuem destillieren. Gilt dies ebenfalls für die Additionsphilosophie. Auch hier werden Dinge extrahiert, sondiert, getrennt und zusammengeführt. Vor allem eben zusammengeführt. Weil in die Darstellung der Additionsphilosophie nicht nur für Philosophen sondern auch für Anfänger eingeführt werden soll, handelt er sich hierbei um eine Zweiführung.
Die Additionsphilosophie ist die Verbindung dessen, was vorher getrennt war. Die Additionsphilosophie ist grundsätzlich etwas sehr simples. Heutzutage sind wir gewohnt, Dinge zu vermischen, die vorher als unüberbrückbar sich gegenüberstanden. Diese Verquickung der Gegensätze zieht sich durch alle Register des Denkens und Handelns. Alles beginnt bei der Metaphysik; sollten die meisten denken. Die bis dato größte Metaphysik stellt die des Aristoteles dar. Metaphysik kennzeichnet den Zustand der Dinge „über uns“. Oder den der Welt neben uns. Gemeint ist jedenfalls ein Zustand, der sich unserer Wahrnehmung nicht unmittelbar und direkt erschließt, sondern eben indirekt. „Meta ta physika“ im Griechischen meint „über den Dingen liegend“. In der Nachfolge des Aristoteles sollte es noch andere Denker geben, die sich an einer Metaphysik versuchten. So z.B. der deutsche Denker Martin Heidegger. Beide Denker würden bestimmt für sich in Anspruch nehmen, mit ihrer Metaphysik die alleingültige erstellt zu haben, worauf diese Erde ruht. Endlich entspringt jedes System der Metaphysik einem menschlichen Gehirn. Keine der erstellten Metaphysiken konnten bisher als solche bewiesen werden. Darin liegt eben auch ihre direkte Unbrauchbarkeit für das menschliche Handeln. Eine Metaphysik sagt uns nicht, wie wir mit Konflikten umzugehen haben - muss sie aber auch nicht. Die additive Metaphysik vereint sämtliche bisher erstellten und untereinander konkurrierenden Metaphysiken, ungeachtet ihrer Richtigkeit. Richtigkeit steht auf einem anderen Blatt. Genauso wie die Sinnfrage (nach dem Sinn des Lebens). Es wird immer Fragen geben, die noch nicht zu beantworten sind und die ihrer Zeit unterworfen sind. Dass Zeit relativ ist und wir in mehreren Zeiten leben, wissen wir spätestens seit Albert Einstein. Oder Immanuel Kant. Doch was nutzt uns dies? Das menschliche Leben ist eben an eine Hülle gebunden und diese Hülle ist der auf dem Planeten Erde stattfindenden Zeit unterworfen. Wir kennen das Experiment mit den zwei Uhren, die exakt gleich gehen. Eine befindet sich auf der Erde, die andere wird auf die Reise in den Weltraum geschickt. Nachdem die Weltraumuhr gelandet ist wird festgestellt, dass die Uhr nachgeht. Zeit ist wirklich relativ, aber was nutzt uns diese Erkenntnis ausser dem „Nutze den Augenblick (carpe diem)“ auf Erden. Wohl wenig. Trotzdem können wir hier etwas feststellen. Es ist die Gleichzeitigkeit von verschiedenem. Damit sind wir wieder bei der Additionsphilosophie angelangt. Denn diese geht ebenfalls von der Gleichzeitigkeit der Dinge aus. Von einem pluralen Begriff des Seins, besser: omniplural. Insofern dürfte eine potenzierte, eine gesteigerte Metaphysik vorhanden sein, eine additive Metaphysik eben.
Aber stellen wir das Philosophieren noch etwas zurück. Wie einfach die Additionsphilosophie strukturiert und aufgebaut ist, wird gleich ersichtlich. Zum besseren Verständnis fangen wir mit einfachstesten additionsphilosophischen Beweisen an, damit alle wissen, wovon die Rede ist.

II. Additionsphilosophische Beweise

Prinzipiell erübrigt sich die Darstellung auch nur eines einzigen additionsphilosophischen Beweises. Geradezu erdrückend ist die Anzahl der Beweise. Alles ist ein Beweis.

Beweis Nummer 1 - Kiwis

In Hannover-Herrenhausen wurde einst durch die hannoverschen Könige im Glanz des alles überstrahlenden Lichtes des französischen Sonnenkönig Ludwig XIV. ein hübscher großer Barock-Garten angelegt. In diesem Garten kann mit einer Höhe von 80 Metern noch heute die höchste Fontäne Europas bewundert werden. Am Rand dieses Gartens führt ein hallenartiges Gebäude den Namen „Orangerie“. Unschwer zu erraten, was für Früchte hier einst gezüchtet wurden. Orangen galten damals nicht nur als bloße Südfrüchte (wie heute), sondern eben als Speise, die für vornehmlich Fürsten vorbehalten war. Diese feudale Speise wuchs und gedeihte natürlich nicht in der Tiefebene der niedersächsischen Sandlandschaft, sondern sie kam eigentlich von woanders, von weit her. Sie gehörte nicht dem Alltagsgeschehen an. Genussmittel dieser Art war der herrschenden Kaste vorbehalten. Es sollte noch Jahre dauern bis sich dies änderte. Vermehrt traten seit Anfang des XX. Jahrhunderts Kolonialwarenhändler auf. Hier konnte für teueres Geld erstanden werden, was sonst Monarchen und den oberen Zehntausend vorenthalten blieb. Ich erinnere mich noch, an die horrenden Preise für eine Kiwi-Frucht Mitte der Siebziger im XX. Jahrhundert. Dann fassten sich die Neuseeländer ein Herz, schlachteten ihr Sparschwein und starteten Mitte der Achtziger eine Werbekampagne für ihre Kiwis - mit dem Resultat, dass sie bald in aller Munde waren. Warum sind nun Kiwis ein treffliches Beispiel für Additionsphilosophie? Wir haben uns daran gewöhnt, Kiwis und andere Südfrüchte zu unserer ständigen Verfügung zu wissen. Es ist etwas in unsere Lebensbahn eingetreten, was vorher nicht da war und nicht sein konnte. Kiwis wachsen in Neuseeland und nicht in Deutschland. Trotzdem sind sie Bestandteil unseres alltägliches Lebens; wir haben sie integriert. Sie sind in unser Leben verwoben, wie die vielen anderen Dinge. Der Spargel, der das ganze Jahr über erhältlich ist, die Nüsse, die aus Kalifornien kommen, alles jederzeit und in allen Mengen verfügbar. So fügen wir Dinge in unser Leben ein, die vorher dort definitiv nicht standen. Sie wurden hinzugefügt - sie wurden addiert! Und so geschieht es zur Zeit mit allem und überall. Freilich mit lokalen Unterschieden.

Beweis Nummer 2 - Kleidung

Ich bin wahrlich kein Modeexperte, aber die Verquickung der unterschiedlichsten vergangen Modestilarten mit bestehenden ist mehr als deutlich. Kleidung, die einst für bestimmte Zwecke konzipiert wurde, wird mittlerweile gnadenlos umgestaltet und mit fremdem vermischt. Junge Burschen die mit Arbeiterschutzkleidung in die Discotheque gehen. Der Anorak, der irgendwo in der Kälte entstand, die Jeans, die in den USA erfunden wurde, der Poncho aus Südamerika, die Schuhe aus Italien. Schmuck, der einst Pharaonen zierte, kann als Kopie zur eigenen Zierde überall erworben werden - das war nicht immer so. Es gab Zeiten, da wurde enthauptet, der aus seiner Rolle ausbrach und sich mit fremden Federn schmückte. Heute gilt der Stilbruch als Stilmittel, ist stilimmanent. Tätowierungen waren das Erkennungsmerkmal für bestimmte Gesellschaftskreise. Sie sind es immer noch, aber anders. Alle können sich heute Tätowieren lassen. Mittlerweile finden es manche cool, mit Henna-Verzierungen herumzulaufen. So wird vermengt, was eigentlich nicht zusammengehört, was nicht zusammengehörte. An jeder Ecke kann Inka-Schmuck erworben werden. Oder Kokopeli, oder Schmuck aus Asien. Tragen wir demnächst Zwangsjacken aus den Irrenhaus oder begeben wir uns auf einen Ausflug zu den Pariser Clochards, um in ihren Fummeln herumzulaufen? Doch das ist bestimmt schon ein alter Hut mit Internetanschluss. Die neuen Trends erinnern an eine Odyssee in die Vergangenheit wie im Kölner Stadtanzeiger vom 29. Januar 2000 nachzulesen war. Und das bedeutet freilich natürlich kein Chaos, wie dort ebenfalls nachzulesen war, sondern stellt eine grossangelegte Harmonie dar; aber das ist letztendlich das gleiche und selbe, wie wir noch sehen werden.

Beweis Nummer 3 - Rhododendren

Ich möchte mich an dieser Stelle nicht als Pseudo-Botaniker aufspielen. Aber ein Blick in fast jedes Wohnzimmer genügt, um eine Vielfalt an Pflanzen zu entdecken, die wahrlich nicht im eigenen Garten wachsen. Ergo: sie wurden von fernher importiert und in das eigene Leben integriert. Genau wie dieses Biotop sieht es heute in den Köpfen der meisten Leute aus. Es wuchert dort eine eigene eigenständige Pflanze, deren Wuchs jeder selbst bestimmt und die je nach eigenem Gutdünken in den allermöglichsten und unmöglichsten Farben schillert. So pflegt und jätet jeder seine eigene additive Pflanze.

Beweis Nummer 4 - de kölsche Chines

Mal ehrlich, kann es einen Imbiß geben, der sich „de kölsche Chines‘“ nennt? Wir denken schon, denn es gibt ihn. Mitten in Köln. Was für Beweggründe mögen die Betreiber eines chinesischen Imbisses in Köln dazu verleitet haben, ihre Fast-Food-Bude „de kölsche Chines“ zu betiteln? Wir wissen es nicht; aber die Verquickung der Gegensätze erscheint mehr als auffällig. Klaro, gab es zu allen Zeiten Leute, die auswanderten und irgendwo in der Pampa eine Pommesbude eröffneten. Das ist noch keine Additionsphilosophie. Zu dieser kommt es erst, wenn sich die Gegensätze häufen und eine übermässige Assimilation eintritt. Ein bestimmter Grad an Quantität ist notwendig. Man läßt das fremde Denken unmittelbar in sein eigenes Einfliessen. Und daraus entsteht tatsächlich auch etwas neues. Früher war uns der Knoblauch fremd, heute ist er unser eigen.

Beweis Nummer 5 - Tankstellen Additive

Hoppla! - Da taucht ja auch schon der Begriff auf. An jeder Aral-Tankstelle können heute Additive erworben werden. Diese werden beim Tanken mit der gewählten Spritsorte gemischt. Was verspricht sich Aral davon? Wird hier durch Zusätze der Wagen schneller gemacht? Oder bleibt der Motor länger am Leben? Oder suggeriert mir der Ausdruck der Additive, dass ich meinem Auto was Gutes tue? - Wahrscheinlich lautet die Antwort Alles Und Nichts. Sonst wäre es sinnlos, Additive zu erstehen. Wir notieren also: Additionsphilosophie sollte durchaus einen gewissen Sinn haben. Der kann für sich selbst beliebig festgelegt werden. Ob tatsächlich ein Sinn besteht, ob nicht alles sinnlos ist, was wir für wahrscheinlich halten, überlassen wir den Diskussionsrunden, sinnig-sinnlich.

Umschlag "Ressentiment"

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318 Seiten, 29,65 EUR
ISBN: 3-8311-0619-3


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Das Prinzip Verbindung


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Was ist Additionsphilosophie?